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Joachim Gauck. Der Präsident im Zeitalter des Fetischismus

 

Das staatliche Strafen

 

Teiler

 

Joachim Gauck

Der richtige Präsident im Zeitalter des Fetischismus


In Platons Dialog „Gorgias“, in dem es um Rhetorik geht, spricht Gorgias von der Rede, die glauben machen will, im Gegensatz zu Platons Sokrates, der die Rede in den Dienst der Erkenntnis stellt, um mit Pro- und Kontra-Argumenten die Wahrheit herauszufinden. Gorgias will seine Zuhörer für seine Interessen manipulieren, Sokrates will die Hörer zur Selbsterkenntnis bewegen. Für Gorgias sind die Zuhörer Objekte, um ihm zu dienen, für Sokrates sind sie vernunftbegabte Menschen in der Polis, der Gemeinschaft der freien Bürger.

Nun hat Joachim Gauck von seiner zukünftigen Präsidentschaft gesagt, er möchte dazu beitragen, dass die Menschen wieder ihren Staat lieben. Es war kein Bild-Reporter wie einst bei dem Präsidenten Heinemann, der nach der Liebe zum Staat fragte, sondern Gauck hat von sich aus diese Äußerung (im Fernsehen) gemacht.


Joachim Gauck
(Wikipedia, J. Fischer/ Commons-Lizenz)


Heinemann hatte einst die Falle in dieser Frage des Bild-Reporters sofort erkannt. Würde er geantwortet haben, er liebe den Staat nicht, dann hätte er sich gegenüber dem Bildpöbel als vaterlandsloser Geselle geoutet. Hätte er gesagt, er liebe den Staat (entgegen seiner Überzeugung), dann hätte ihn das Boulevardblatt der Heuchelei überführt aufgrund vorgängiger Sätze. Heinemann zog sich aus der Affäre, indem er äußerte: „Ich liebe meine Frau.“ In diesem Ausweichen der Frage liegt die aufklärerische Überzeugung begründet, dass Gefühle Privatsache sind, weder vom Staat eingefordert noch von einer Öffentlichkeit als Bekenntnisse erzwungen werden können, zumal man für seine Gefühle selbst nichts kann noch sie willentlich herbeizuführen vermag.

Die Frage, ob man überhaupt den Staat lieben könne, ist allerdings durchaus legitim zu stellen. Nach dem Aufklärer Kant ist der Staat eine „Maschine“ (in: „Was ist Aufklärung?“), also ein Beamtenapparat, ein Instrument der Politiker, um ihre Zwecke durchzusetzen. Und diese Politiker sind in der Marktwirtschaft selbst Getriebene, also selbst Instrumente, sie müssen machen, was das anonyme Kapital will: Gute Bedingungen für Wachstum generieren, die eigene „Volks“-wirtschaft im Konkurrenzkampf der Nationen fit halten usw., was nichts mit ihren individuellen Interessen zu tun hat. (Deshalb musste Wulff gehen, er hat seine privaten Interessen mit den allgemeinen Interessen der Wirtschaft konfundiert und so seine und die Sonderinteressen einer Kapitalfraktion bedient, also die Konkurrenzgleichheit gefährdet, zumindest wenn die Vorwürfe der Korruption stimmen.)
Heute herrscht allerdings eine Sprachverwirrung, die unter „Staat“ alles Mögliche verstehen will, so z. B.: Der Staat sind doch wir alle, d. h., alle sollen Teil der Maschine sein. Oder: Der Staat ist das Land, die Landschaft mit ihren Menschen – aber wer liebt schon die ganze Landschaft - die Zersiedlung und die Betonierung durch Autobahnen liebe ich jedenfalls nicht; und alle Menschen, auch die mit Dummheit geschlagen sind, zu lieben ist wohl auch kaum möglich. Oder der Staat wird symbolisiert in Muskelmänner und -frauen als Sportskanonen, aber diese haben nur die Funktion das Prestige des Staates, also der Maschine, zu fördern und die Hooligans für diese Maschine zu begeistern, damit sie sich nicht weiter mit Polizisten, also einem Teil der Maschine, prügeln.

Schließlich sei der Staat das Parlament, die Regierung, die Hinterzimmer, die Lobbyisten – aber in diesen Institutionen kommt doch immer nur das heraus, was dem höchsten Zweck des Staates dient: das Wachstum. Parlamente sind in der marktkonformen Demokratie auch nur Instrumente des modernen Gottes.

Wenn nun der zukünftige Präsident Gauck sagt, er will dafür sorgen, dass die Menschen wieder so wie er den Staat lieben, dann fordert er, man solle eine Maschine, also ein totes Ding, lieben – das aber ist genau das, was den Begriff des Fetischismus ausmacht. Es hat die gleiche Qualität, wie wenn ein Jungmanager liebevoll über seinen ersten Sportwagen streichelt oder jemand sein Auto gut zuredet, damit es anspringt (was jeder als idiotisch erkennt). Mit solchem Fetischismus, man solle die Maschine Staat lieben, die einst Vaterland hieß, hat man zweimal im 20. Jahrhundert Millionen junger Menschen – leichtgläubig, wie sie waren – in den Tod der Weltkriege getrieben.

Gauck ist also kein Sokrates, sondern ein Gorgias, der seine Hörer Glauben einreden, aber nicht von einer Wahrheit überzeugen will. Damit er von den Politikern als Präsident inszeniert werden kann, muss er aber noch andere Qualitäten haben, und die hat er: Nach der HAZ (vom 20.02.12, S. 3) strahlt er „Charisma“ aus, kann druckreife Sätze sprechen, fühlt sich zu „Höherem“ berufen, spricht mit sonorer Stimme, die Medien rufen Gauck als Präsident der Herzen aus. Und vor allem: Er ist konservativ, Kapitalismuskritiker sind ihm „unsäglich albern“, die demonstrierenden Globalisierungsgegner bezichtigte er, „romantische Vorstellungen“ zu haben. Sarrazin mit seinen rassistischen Thesen attestierte er Mut, weil er offen gesprochen habe. Was er sonst noch von sich gibt, ist die vorherrschende Meinung, die immer die Meinung der Herrschenden ist: Ungleichheit ist notwendig, Hartz IV war notwendig, „noch bewegt sich die Politik in den Bahnen paternalistischen Verteilens“ (Welt-Online, v. 7. 6. 2010), d. h., wer als Arbeitskraft überflüssig ist und aussortiert wird, soll verhungern. Sein Thema, das ihn als Präsident prädestiniert, ist die demokratische Kultur in Deutschland, er bezeichnet sich selbst als „eitel“, „als reisender Demokratielehrer“.

Ob solcher Abstraktion von allen konkreten Inhalten kann ihm die Demokratie nur als Fetisch unterkommen. Das entspricht seinem Beruf als Theologe, eine Spezies, die uns, entgegen aller Erkenntnis, immer noch einreden will, nach dem Heldentod oder der pünktlichen Pflichterfüllung für die Maschine Staat oder den Moloch Wirtschaft kämen wir im Jenseits ins ewige Leben. Allerdings verbietet selbst der christliche Gott, da er als Geist stilisiert ist, einen Fetisch, ein totes Ding, also einen Götzen zu lieben.

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Letzte Aktualisierung: 09.07.2012

 

09.07.2012