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Ideologiekritik

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„Wenn wir Reis haben,
können wir alles haben“
1

Zur Kritik der Ideologie und Praxis der Roten Khmer

Autoren: junge linke gegen kapital und nation

  1. Die Roten Khmer sind heute ein Synonym für den Terror „des“ Kommunismus geworden. Wo immer jemand heute für eine andere Gesellschaft plädiert, ist neben Stasi &Mauer, Stalin & Gulag auch Pol Pot und sein angeblicher „Steinzeitkommunismus“ als Gegen“argument“ im Gebrauch, das zeigen soll, was passiert, wenn Leute radikale Gesellschaftsveränderung anstreben. Das „Demokratische Kampuchea“2 scheint wie gemacht dafür: Eine Gruppe von linken Studenten, die in Paris den Marxismus (bzw. was man damals so dafür hielt) kennen lernen, später in die KP eintreten, in ihr Heimatland heimkehren, dort nach einigen Reformversuchen in den Untergrund gehen, mit einer Guerilla-Armee die Macht erobern, und dann eine Terrorherrschaft aufrichten: Alle Städter werden aufs Land vertrieben, das Geld wird abgeschafft, gefolgt vom Verbot des Privateigentums, Verpflichtung zur einheitlichen Kleidung, der Bildung von Volkskommunen mit gemeinsamen Essen, Arbeiten und Wohnen. So hat sich der bürgerliche Alltagsverstand schon immer den Kommunismus ausgemalt, entsprechend groß ist die Empörung, entsprechend gering, das Interesse daran, zu klären, warum die Roten Khmer denn nun gemacht haben, was sie taten.
  1. Und damit da keine Missverständnisse aufkommen: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Kommunistische Partei Kampucheas Millionen von Menschen auf dem Gewissen hat, sei es durch Erschießungen und Massenhinrichtungen mit Hacke und Stab, durch Folter und durch die Hungersnöte, die sie herbeiführte. Auch klar ist, dass die Roten Khmer ein Leben in Volkskommunen durchsetzten, das mit einer „freien Assoziation freier Produzenten“ nichts zu tun, mit einem Arbeitslager mit Einheitskleidung, Mangelernährung und wechselseitiger Kontrolle, Einschränkung und Bespitzelung hingegen verteufelt viel Ähnlichkeit hat. Und so ziemlich das Gegenteil von dem ist, was mensch sich so für die eigene Zukunft wünscht.
  1. Darum ist es auch von mehr als akademisch-historischem Interesse, sich zu erklären, warum die Roten Khmer ihr Regime so eingerichtet haben. Dafür ist es nötig, sachlich zu prüfen, was die Bedingungen waren, unter denen Pol Pot und seine Schergen agierten, was ihre Ziele, was ihre Mittel – und was ihr Selbstverständnis, was ihre Ängste, wer ihre realen oder imaginierten Gegner und Verbündeten waren. Dabei gibt es mehrere Probleme: Die Roten Khmer hinterließen nur wenig Schriftliches, vieles gibt es nur als Erinnerung von Flüchtlingen, als vom US-Geheimdienst abgehörten und übersetzten Radioberichten und aus ein paar Dokumenten, die aus dem Khmer ins Französische, manchmal vom Französischen dann noch ins Englische und am schlimmsten dann noch vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurden. Und zwar von ausgewiesenen Gegnern der Roten Khmer, die zudem zumeist ganz falsche Theorien über der Kommunistischen Partei Kampucheas (KPK) hatten und mit dieser Brille auch die Dokumente lasen und übersetzten. Auch die chinesischen, vietnamesischen und nordkoreanischen Archive sind nicht zugänglich; Verbündete wie Gegner geben sich recht wortkarg – sie werden schon wissen, warum. Die Kader der Roten Khmer haben, solange sie an der Macht waren, versucht ihre Praxis zu verschleiern, nachdem sie von den Vietnamesen vertrieben wurden, haben sie schlichtweg gelogen („Alles Agenten Vietnams“) – und ihre Aussagen vor Gericht sind nun ja auch Quellen, die einiges mit den Interessen an Freispruch, mildem Urteil usw. zu tun haben dürften. Diese grundsätzlichen Quellenkritik heißt erst mal nur eins: Dass eine gewisse Vorsicht gegenüber dem genauen Wortlaut angesagt ist und mögliche Widersprüche auch auf interessierte Lesarten, Übersetzungsfehler, Übersetzungsungenauigkeiten hin zu untersuchen sind.
  1. Um den Sieg der Roten Khmer 1975 besser zu verstehen, mag ein kurzer Abriss der kambodschanischen Geschichte hilfreich sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten marxistisch-leninistische  Guerillatruppen in Indochina, v.a. in Vietnam, der französischen Kolonialmacht eine vernichtende Niederlage zugefügt. Zusammen mit Nord- und Süd-Vietnam und Laos wurde auch Kambodscha - unter einem von Frankreich eingesetzten König - in die Unabhängigkeit entlassen. Jener König namens Sihanouk bestimmte zwischen 1953 bis 1970 die Politik Kambodschas, auch in der Zeit, in der er kurz Thronverzicht übte. Seine Politik nannte sich „buddhistischer Sozialismus“ – und die Verbindung der Vorstellung von irgendeiner Sorte Gemeinwirtschaft mit einem religiösen Ideal, das im Regelfall auf Entsagung und Bedürfnislosigkeit setzt, deutet es schon an: Dieser „Volkssozialismus“3 hatte mit dem Wohlergehen der Leute und einer halbwegs vernünftigen Bedürfnisbefriedigung aller nicht allzu viel zu tun. Über 90 % der Bevölkerung arbeitete in der Landwirtschaft, die bis auf den Tribut an den König auf Subsistenz ausgerichtet war, die Lebensbedingungen waren dürftig und bei schlechten Ernten waren Hungersnöte häufig. Kunstdünger war kaum verbreitet, technische Hilfsmittel selten eingesetzt. Industrieproduktion wurde in erster Linie durch ausländische Entwicklungshilfe angeschoben und am Export ausgerichtet, der geringe Außenhandel war staatlich kontrolliert und die Banken verstaatlicht. Die Außenpolitik orientierte sich an freundschaftlichen Kontakten mit Frankreich, Japan, der UdSSR und der VR China und versuchte sowohl die Blockkonfrontation, als auch den sino-sowjetischen Streit für sich auszunutzen – durch Neutralität möglichst viel nationale Unabhängigkeit. Das Sihanouk-Regime hatte sogar versucht, sich aus dem sich zuspitzenden Vietnamkrieg herauszuhalten. Es duldete allerdings, dass die kommunistischen Vietcong über kambodschanisches Gebiet ihre Genossen in Südvietnam versorgten.
  1. Die Kader der Roten Khmer waren häufig Studenten, die die Sihanouk-Regierung in den 1950er Jahren nach Paris zum Studieren geschickt hatte und die dort - nicht ganz im Sinn des königlichen Stipendiengebers - mit der Kommunistischen Partei Frankreichs in Kontakt kamen. Ebenso wie die wenigen übrig gebliebenen Kader der Kommunistischen Partei Indochinas waren diese Studenten vor allem eins: Glühende Liebhaber ihres Vaterlandes, aber ziemlich unzufrieden mit den sozialen, ökonomischen und politischen Zuständen und Abhängigkeiten ihrer Nation. Von den gewöhnlichen Wald-und-Wiesen-Patrioten unterschieden sie sich dadurch, dass sie mit „dem Marxismus“ in Berührung kamen. Das hieß damals für die meisten, dass die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen sei, die Kapitalisten - böse! - objektiv abgewirtschaftet hätten und die Arbeiter - gut! - über kurz oder lang mittels der Kommunistischen Partei den ganzen Laden übernehmen würden  Sehr viel mehr als den Hinweis, dass es auch in ihren Ländern Klassen und Klassenkämpfe gäbe, haben die späteren Roten Khmer – und alle möglichen anderen Intellektuellen aus den damals unabhängig gewordenen oder gerade werdenden Ländern – dem Werk von Marx wohl nicht entnommen. Aber selbst mit dieser nicht gerade tief schürfenden Einsicht hätte mensch ja was machen können, z.B. mit Rosa Luxemburg annehmen können, auch im eigenen Land sei der Nationalismus nur „ein Ausdruck der aufstrebenden eingeborenen Bourgeoisie, die nach selbständiger Ausbeutung des Landes für eigene Rechnung strebt“4. Statt dessen beruhigten sich die jungen unzufriedenen Nationalisten noch nicht mal mit Lenins These, jeder Antiimperialismus sei mittlerweile in letzter Instanz objektiv fortschrittlich, weil er das Gesamtsystem schwäche.5 Richtig umgekehrt zu Lenins instrumenteller Einschätzung (Befreiungsnationalismus gut für Sozialismus) entdeckten sie im Sozialismus die Erfüllung aller Hoffnungen wahrhafter Patrioten und machten sich auf, die gesellschaftlichen Klassen in ihrer Heimat danach zu durchleuchten, ob sie für den nationalen Reichtum nützlich seien oder gar Geschäfte mit dem bösen, kapitalistischen Ausland machen würden. Als radikale Idealisten ihres Nationalstaates waren sie insoweit jederzeit bereit, jeden „wahrhaftigen Patrioten“ als Verbündeten zu sehen; kein Wunder, dass Anfang der 1960er Jahre drei Kommunisten kurzfristig sogar königliche Minister wurden. Das hätte gut gehen können, denn die Roten Khmer hatten nicht nur einen ziemlich un-klassenkämpferischen Stolz auf die alte Khmer-Kultur von Angkor Wat, sondern waren sich auch mit dem Sihanouk-Regime ganz einig, dass das Ausland Kambodscha ausnütze und ausbeute und darum ganz viel nationale Unabhängigkeit gut sei, weil in der Geschichte alles Schlechte und Böse aus dem Ausland gekommen sei und die Nachbarn Vietnam und Thailand auch schon in grauer Vorzeit versucht hätten, das großartige Khmer-Volk zu versklaven 6. Nur: Das ging nicht gut. Denn für einen ordentlichen Patrioten sind Leute, die Klasseninteressen im nationalen Volksganzen entdecken und gar meinen, die Unteren der Nation hätten irgendwie Grund sich gegen die von oben gesetzten Zumutungen zu wehren, von vornherein verdächtig, gar keine „Patrioten“, sondern „Umstürzler“ zu sein. Und darum wurden Mitte/Anfang der 1960er Jahre die Kommunisten Kambodschas verfolgt, ihre Kader ebenso wie angebliche Sympathisant_innen gefoltert und ermordet. Die KPK mussten sich in die ärmsten und am weitesten von Phnom Penh entfernten Bergregionen zurückziehen. Auf Hilfe von ihren sowjetischen, chinesischen oder vietnamesischen Genoss_innen konnten sie indes nicht hoffen – denn die waren Sihanouk ziemlich dankbar dafür, dass er ihnen im Vietnam-Krieg nicht in den Rücken fiel und wollten ihn nicht dadurch vergraulen, dass sie nun eine kommunistische Guerillatruppe gegen ihn unterstützten. Das bestärkte die KPK in ihrer Überzeugung, dass vom Ausland, egal ob kapitalistisch oder sozialistisch, nichts Gutes zu erwarten sei. Die Leute, die sich in dieser Gegend von der KPK anwerben ließen, waren im Regelfall verzweifelt, wütend und unterernährt und hatten auch sonst wenig zu verlieren.
  1. Als die USA beschlossen, auch kambodschanisches Gebiet zu bombardieren – eine der vielen brutalen Geheimaktionen der Nixon-Administration – brach das Sihanouk-Regime die Beziehungen mit den USA ab und intensivierte andererseits die Verfolgung der Roten Khmer, die nach langen Jahren relativer Bedeutungslosigkeit immer mehr Zulauf erhielten. Das hielten einige rechte Militärs, die sich Sorgen über eine kommunistische Machtübernahme machten, nicht für eine kohärente Strategie – und putschten 1970, als der König gerade auf Staatsbesuch in der UdSSR war. Plötzlich war Kambodscha eine Republik unter Führung des Generals Lon Nol. Dieses „republikanische“ Regime arbeitete eng mit den USA zusammen, erlaubte die Bombardierung kambodschanischen Gebiets und bat sogar um militärische Hilfe bei der Bekämpfung der kommunistischen Guerilla, zu deren Erfolg der immer rücksichtsloser werdende Krieg gegen die eigene Bevölkerung und die hohe Zahl an Bombentoten durch US-Bombardement (200.000 bis 700.000 oder mehr – das lässt sich nicht mehr feststellen7) beitrugen. In dieser Situation ließ sich 1973 König Sihanouk von der VR China breitschlagen, die Führung des „Demokratischen Kampuchea“ zu übernehmen – deren Hauptträger die Roten Khmer waren. Gegen diese lustige Koalition hatte das gleichermaßen korrupt-ineffiziente wie brutale Regime Lon Nols keine Chance, v.a. als die USA Mitte der 1970 Jahre beschlossen, ihre Machtdemonstration in Indochina nicht mehr nötig zu haben und das südvietnamesische wie das kambodschanische Regime aufzugeben. Am 18. April 1975 zogen die siegreichen Roten Khmer in Phnom Penh ein.
  1. Die erste Amtshandlung der neuen Machthaber – die sich zunächst nur „Angkar“ (übersetzt in etwa: Organisation) nannten – war es durch Lautsprecher allen Bewohner_innen mitzuteilen, sie hätten 48 Stunden Zeit Phnom Penh zu räumen. Im Krieg war die Einwohnerzahl der Hauptstadt von 600.000 auf zwei Millionen angewachsen 8, darunter viele Flüchtlinge, Verletzte und Verstümmelte. Nun erzählte man den EinwohnerInnen, es drohe ein Bombardement durch die US-Luftwaffe und die Räumung dauere nur eine Woche 9. Vom Kindergarten bis zur Intensivstation mussten sich die Bewohner der Städte – in den anderen Städten war es nicht wesentlich anders – zu Fuß auf den Weg machen und wurden, sofern sie den tage- und wochenlangen Fußmarsch mit wenig Nahrung, Schlägen, Vergewaltigungen und Exekutionen überlebten, auf die Landkommunen verteilt. Pol Pot behauptete 1978, es habe keinen festgelegten Plan gegeben, sondern die Räumung habe sich aus der damaligen Situation ergeben. Das ist unwahrscheinlich, da die Aktion nicht nur gut vorbereitet war, zumindest was die Austreibung der Bevölkerung betrifft, sondern die Roten Khmer bei zuvor eroberten Städten bereits ähnlich verfahren waren. Pol Pot begründete die Räumung vor allem mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die Bevölkerung zu ernähren und für die Produktion zu nutzen. Dies ist aber nach heutigem Kenntnisstand vorgeschoben gewesen 10. Als zweiten Aspekt erwähnte er die Gefahr eines US-imperialistisch inspirierten Aufstandes.11 Ieng Sary, ein führender Repräsentant der Roten Khmer, meinte, die Städte wären aufgrund von Geld, Alkohol und Prostitution eine Gefahr für die Kampfkraft der revolutionären Truppen gewesen.12 Ein anderes, düsteres Licht wirft – so sie authentisch ist – eine Diskussionsnotiz aus der Zeit vor der Machtübernahme auf die ganze Aktion: „Die Frage der Gegensätze zwischen Stadt und Landbevölkerung existiert nicht, weil die Städte alle ausländischen Ursprungs sind, bewohnt von Ausländern […] die Bevölkerung der Städte ist also aus Rassenmischung mit diesen Ausländern hervorgegangen; sie ist also nicht reinen Khmer-Ursprungs und kann ohne politische und psychologische Schwierigkeiten eliminiert werden“13. Dies entspricht dem realen Vorgehen der Roten Khmer.
  1. Vor allem die brutale Zwangsumsiedlung der städtischen Bevölkerung durch die Roten Khmer wird häufig so interpretiert, sie hätten einen „kommunistisch-primitivistischen Bauernstaat“14, „eine Art Agrarkommunismus“15, oder kurz und bündig einen „Steinzeit-Kommunismus“16 aufbauen wollen, sie wären von der romantischen Illusion besessen gewesen, „to turn back the clock to something pure and authentic“.17 Die häufig zitierte Parole „Wenn wir Reis haben, haben wir alles“18 scheint genau dies zu besagen: Eine bornierte Beschränkung auf landwirtschaftliche Produktion, v.a. auf das Produkt, von dem das Leben der Bewohner_innen Kambodschas abhing (und abhängt); daraus, resultierend die Strategie, die Städte zu leeren und alle Leute aufs Land zu verfrachten.
  1. Aber war es tatsächlich die reaktionäre Utopie eines Bauern'kommunismus'? Es mag helfen, den Rest von dem Zitat zu hören: „Wenn wir Reis haben, haben wir alles; unser Volk kann sich satt essen und wir können ihn für harte Währung exportieren. Je mehr wir exportieren, umso besser können wir es uns leisten, technische Geräte, Maschinen und andere Instrumente, die nötig zum Aufbau einer Industrie […] und zur schnellen Veränderung der Landwirtschaft sind, zu kaufen.“19 Ein 'Steinzeitkommunismus' auf Devisenjagd also. Und klingt es eigentlich nach Bauernstaat, wenn Pol Pot 1977 erklärte: „Wir nehmen die Landwirtschaft als die Basis und benutzen die Früchte der Landwirtschaft um systematisch eine Industrie aufzubauen […] Wir wollen das rückständige Agrarland Kampuchea schnell in ein industrialisiertes Kampuchea verwandeln, und dabei an den fundamentalen Prinzipien von Unabhängigkeit, Souveränität und Eigenständigkeit festhalten“20?
  1. Der 1976 beschlossene Vierjahresplan spricht genau dieselbe Sprache. Die KPK ging davon aus, dass Kambodscha von nirgendwo uneigennützige Hilfe erwarten könne (womit die KPK ausnahmsweise sogar mal recht hatte), keine natürliche Reichtümer habe und seine Industrie auch nichts tauge, aber eine erfolgreiche Partei, ein arbeitsames Volk und eine deutlich verbesserbaren Reisanbau vorweisen könne. Und als stolze Nationalisten besannen sie sich auf genau diese Seiten ihres Landes. Also beschloss die Partei den Aufbau des Sozialismus und zwar dadurch, dass der Reisanbau intensiviert und ausgeweitet werden sollte, um die Überschüsse zu exportieren und mit den Exporterlösen Industrieanlagen einzukaufen. Der Plan sah vor, in Zukunft drei Tonnen Reis pro Hektar zu ernten, in dem das ganze Land mit Bewässerungsanlagen überzogen würde, die in Zukunft mindestens zwei, besser drei Ernten ermöglichen sollten. Diese Bewässerungsanlagen zu bauen und Reis zu pflanzen, sollte nun die Aufgabe des ganzen Volkes sein. Wer da nicht mitmachen wollte oder konnte, gehörte nicht zum Volk. Und das war im „Demokratischen Kampuchea“ im Regelfall ein Todesurteil.
  1. Reden wir über Reis. Reis ist keine Wasserpflanze. Aber viele Sorten Reis gedeihen besser (auch wegen Schädlingen, Unkraut usw.), wenn die Felder unter Wasser stehen (Sumpfreis). In bergigen Regionen gibt es auch Trockenreis-Anbau; dieser ist aber deutlich unergiebiger. Die Erträge vieler Sorten können dadurch gesteigert werden, dass die Felder mehrfach unter Wasser gesetzt und wieder entwässert werden21. Dafür benötigt man ein ausgeklügeltes System von Kanälen, Dämmen, Zu- und Abflüssen. Die Produktivität des Reisanbaus in Kambodscha war 1975 relativ gering: 1970 – also vor Beginn des Flächenbombardements und der Ausweitung des Bürgerkriegs – war der Durchschnittsertrag 1 (in Worten: eine) Tonne pro Hektar, zum Vergleich: 7,6 Tonnen pro Hektar in Australien, 3,3 Tonnen pro Hektar in der UdSSR.22 Der Vierjahresplan von Mitte/Ende 1976 sah vor, in normalen Reisfeldern 3 Tonnen pro Hektar, auf einigen besonders guten Feldern sogar 6 bis 7 Tonnen pro Hektar zu ernten.23
  1. Könnte man den Plan, innerhalb von vier Jahren in einem durch Krieg zerstörten Land den landwirtschaftlichen Ertrag zu verdreifachen, „mutig“ nennen – und mutig heißt in Sachen planvolles Wirtschaften „klappt eher nicht“ –, so kann man die Methoden nur bescheuert nennen. Es lässt sich schon arg darüber streiten, ob es eine kluge Idee ist, Krankenschwestern, Lehrer, Apotheker und Taxifahrer nur noch Schlamm schippen und Reis pflanzen zu lassen – aber dass in Notzeiten auch Leute bei Kram mithelfen, für den sie nicht ausgebildet sind, ist ja durchaus eine denkbare Strategie. Mies und menschenfeindlich ist hingegen die Technik, Leute aus ihrer Wohnung zu vertreiben, nach Geschlechtern in Arbeitsbrigaden aufzuteilen und mit Gewalt und Drohung zur Arbeit unter mörderischen Arbeitsbedingungen zu treiben. Zudem war sie auch denkbar kontraproduktiv. Wer solche Arbeitskräfte dann noch über Monate mit dünner Reissuppe – oder sogar noch schlimmer: mit Reishüllensuppe – ernährt, und das zum Teil nur einmal am Tag, gleichzeitig „zur Bekämpfung kapitalistischer Tendenzen“ den privaten Anbau von Spinat, Kohl oder Tomaten bekämpft, während Kader und Soldaten ordentliche Rationen bekommen24 und dann zusätzlich noch fortfährt, „tausende Tonnen Reis zu exportieren, um Kapital für die nationale Verteidigung und den Wiederaufbau zu akkumulieren“ (Pol Pot 1977)25 – wie soll man solche Leute eigentlich nennen? Arschlöcher? Schweinehunde? Verbrecher? Auf jeden Fall so: Nationalisten.26
  1. Denn für die Roten Khmer löste sich nicht nur alles auf der Welt nur noch in die Frage „Khmer oder Nicht-Khmer“ auf, mit der bitteren Konsequenz dass alle, die ihnen nicht passten, mal eben aus dem Volk ausbürgert wurden und dann ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Sie brachten es zusätzlich noch fertig – sei es aus Angst vor ausländischer Einmischung, sei es aus patriotischem Stolz – trotz eines grassierenden Versorgungsmangels und eines medizinischen Notstandes alle ausländischen Hilfsorganisationen aus dem Land zu werfen. Und stolz klopften sie sich auf die Schulter, es ganz anders zu machen als die vietnamesischen, chinesischen, nordkoreanischen oder sowjetischen Kommunist_innen – und fanden es darum unter ihrer Würde, die staatssozialistischen Staaten um Hilfe zu bitten, auch wenn es ums bloße Überleben der Leute ging, die da plötzlich unter ihre Herrschaft geraten waren. Für solch brutal-fahrlässige Behandlung von Leuten als bloßes Material staatlicher Pläne braucht mensch – das zeigt die Geschichte der kapitalistischen Nationalstaaten – keine ausgeprägte Stalin-Lektüre, die ganz ordinäre Vorstellung, dass die Nation wichtiger als der Einzelne ist, reicht da völlig aus. Darum: In erster Linie waren die Roten Khmer Nationalisten.
  1. Hinzuzufügen wäre zudem: Ein Haufen „Knallköpfe“. Denn der Aufbau eines Systems von Dämmen und Kanälen erfordert durchaus ein bisschen Wissen darüber, wie tief mensch solche Kanäle buddelt, wie Dämme haltbar gemacht werden, wie mensch es hinkriegt, dass das Wasser dann – und nur dann – fließt, wenn es beabsichtigt ist usw. Gut wäre es auch, wenn die Kanäle nicht so tief sind, dass das Wasser mühsam auf die Felder gepumpt werden müsste und durchaus hilfreich wäre es auch, wenn die Dämme z.B. stärkere Regenfälle aushalten würden. Mensch ahnt es schon: Der Großteil der neugebauten oder wiederhergestellten Bewässerungsanlagen war ein Griff ins Klo, sie waren z.T. ineffektiv, z.T. sinnlos, z.T. gingen sie bei ersten Regenfällen kaputt und begruben Reisfelder, manchmal aber auch Dörfer unter Schlammlawinen.27 Auch wenn nach drei Jahren schlimmster Misserfolge und einer z.T. dramatisch gesunkenen Reisproduktion dann – wohl eher durch Versuch und Irrtum, als durch systematische theoretische Überlegung – ein Teil der Bewässerungsanlagen funktionierte, so war die Produktivität unterernährter, ausgelaugter, traumatisierter und verzweifelter Menschen, die zudem unter völlig anderen Bedingungen arbeiten mussten als vorher, nicht im Mindesten so hoch, wie die Roten Khmer geplant hatten.
  1. Khieu Samphan, ab 1977 Staatsoberhaupt des „Demokratischen Kampuchea“, soll erklärt haben: „Wer politisch denkt, wer das Regime begriffen hat, der kann alles, die Technik kommt später ... wir brauchen keine Ingenieure, um Reis anzubauen, Mais zu pflanzen oder Schweine zu züchten“28 Diese – maoistisch inspirierte – Überlegung ist erst mal ein Hirnriss allererster Güte: Kluge politische Überlegungen sind sicherlich bei Technikentwicklung, Technikerprobung und Technikanwendung hilfreich29; es kommt ja auf einen politischen Zweck an, der damit verwirklicht werden soll. Nur: Damit ist Technik selbst keineswegs schon richtig verstanden. Und gerade wenn es um so direkte Auseinandersetzung mit der Natur wie Landwirtschaft geht, ist es erst mal wichtig, richtiges Wissen über die Natur zu haben, wie und womit und mit welchen Auswirkungen mensch sie beeinflusst.
  1. Und nur um Missverständnisse zu vermeiden: Es ist schon gut und richtig zu erkennen, dass die jeweils bestehenden Verhältnisse verändert werden können und dass häufig auch Leuten, die unter solchen Verhältnissen leiden, die Phantasie, fehlt sich vorzustellen, wie es anders gehen könnte. Fraglich, ob man wirklich Mut zum Träumen braucht, um Kraft zum Kämpfen zu gewinnen – bislang haben uns unsere Träume weder bei der Organisation unseres Sommercamps noch bei der Gestaltung unserer Webseite geholfen. Aber es ist schon eine wichtige Erkenntnis, dass man gegen das Sich-Abfinden mit der Welt agitieren muss und dass manche nötige Veränderungen und Verbesserungen auch schon mal einen kollektiven Kraftakt erfordern, von dem man Leute überzeugen muss, weil auch mancher, der/die was zu kritisieren hat, sich von der Macht der Verhältnisse blenden lässt. Und ungefähr das ist der vernünftige Kern der Anarcho-Sprüche à la „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“ usw. Wenn Anarchist_innen und Maoist_innen darauf beharren, dass sie politisch etwas wollen, was es momentan nicht gibt und dass ohne den Willen zur Veränderung sich daran auch nichts ändern wird, dann haben sie mit dieser – ein bisschen banalen – Einsicht erstmal recht. Und wirken da weitaus sympathischer als die Stalinist_innen, die ja bei jedem Dreck, den sie anrichten, immer die gute Ausrede vorweisen, dieses sei „historisch notwendig“, so und nicht anders. Wer will, mag den Maoisten und der KPK sogar zu gute halten, dass ohne ein gewisses starrköpfiges Festhalten am eigenen politischen Programm ganz unabhängig von dessen konkreten Realisierungschancen sie nie und nimmer irgendwann in die Situation gekommen wären, mal was zu verändern. Nur: Das ist etwas ganz anderes, als dem stumpf-affirmativen Realismus, der sich nichts anderes vorstellen kann, weil er sich nichts anderes vorstellen will, einen Idealismus entgegenzusetzen, der die Realität mal eben für unerheblich erklärt und anstelle einer Analyse ein paar mehr oder minder zündende Mutmacherparolen setzt, die im Zweifelsfall eher zu einem Kirchentag – der Glaube versetzt Berge – als zum Aufbau einer richtig schicken Planwirtschaft passt. Produktivkraftentwicklung ist kein Tüdelü; ein Plan ohne Sicherheitsnetz ist Mist und utopisches Denken führt, wenn es sich nicht um Verwirklichungsbedingungen kümmert, tatsächlich in die Katastrophe. So geschah es – zusätzlich zu den direkt beabsichtigten Brutalitäten – auch im „Demokratischen Kampuchea“.
  1. Diese offensichtlichen Probleme des „sozialistischen Aufbaus“ musste Gründe haben, und die Roten Khmer machten sich auch sogleich auf die Suche. An der Partei konnte es nicht liegen; die hatte ja die richtige Linie, und das Khmer-Volk, auf dessen gute Eigenschaften ein kambodschanischer Patriot ja nichts kommen lassen konnte, schied als Schuldiger auch aus. Also mussten ja wohl an allen Ecken und Enden Verräter und Saboteure am Werke sein. Grundsätzlich verdächtig waren da die vietnamesische und die chinesische Minderheit, die in der alten Gesellschaft vor allem Handwerker und Händler gewesen waren30; ebenso wie die muslimische Minderheit, die wegen ihres Glaubens und ihres Lebenserwerbs (Fischerei) in den Augen der KPK nicht zum traditionellen Khmer-Reisbauern-Volk dazugehörte. Städter waren selbstverständlich verdächtig, Privilegierte des alten System oder gar Flüchtlinge vor den Roten Khmer-Truppen gewesen zu sein. Generell unterschieden die Roten Khmer zwischen den „old people“, die schon länger unter ihrer Herrschaft überlebt hatten, und darum vertrauenswürdiger waren, als die „new people“, die erst vor Kurzem unter ihre Fuchtel geraten waren. Und schließlich mussten sich auch in die KPK Diversanten und Verräter geflüchtet haben, denn ansonsten hätten ja die Saboteure nicht ihr schändliches Werk verrichten können, ohne dass Angkar sie bemerkt hätte. Hatten die Roten Khmer zunächst v.a. Anhänger des alten Regimes, Soldaten der Lon Nol-Truppen und städtische Intellektuelle umgebracht, und dann Exilanten, die irrtümlich gedacht hatten, nun sei der Krieg vorbei und sie könnten beim Aufbau des Demokratischen Kampuchea mit helfen, verlegten sich die Roten Khmer bald darauf, auch in ihren eigenen Reihen zu foltern und zu morden und jeden der Spionage zu verdächtigen.31Gleichbleibend war der Terror auf dem Land gegen jeden, der nicht die geforderte Arbeitsleistung erbrachte, der sich aus Hunger an der Ernte oder Essensresten vergriff, oder es gar wagte, heimlich ein Tier zu schlachten. Kranke, Alte, Schwache, Verletzte, Behinderte usw. wurden als unnütze Esser im besten Fall sich selbst und damit häufig dem Hungertod überlassen, oder auch einfach umgebracht. Wer einen Witz über Angkar machte, an einer Maßnahme Kritik übte oder sich sonstwie dem Regime „feindlich“ zeigte, kam nur selten mit dem Leben davon. Aber auch wem ein Pflug kaputtging, wem ein Büffel nicht gehorchte oder wer gar unerlaubte sexuelle Beziehungen unterhielt, konnte mindestens mit öffentlicher Demütigung, häufig mit rigider Bestrafung, manchmal auch mit dem Tod rechnen. Es wird geschätzt, dass Kambodscha 1975 ca. 7,4 Millionen EinwohnerInnen hatte. 1979, als vietnamesische Truppen dem Spuk ein vorläufiges Ende machten, betrug die Bevölkerung noch ca. 5,8 Millionen Menschen.32
  1. Wie kann man den Terror und den massenhafte Umbringen von Leuten erklären? Häufig wird der Gegensatz zwischen den Gräueltaten und dem angeblich sanftmütigen und freundlichen Nationalcharakter der Kambodschaner hervorgehoben. Aber diese rassistisch-idiotische Vorstellung eines homogenen Wesens einer Bevölkerung täuscht nationalistisch geschulte Küchenpsychologen nicht über die dunkle Seite der Khmer-Volksseele hinweg. Und selbst bei eingeschworenen Antikommunisten, für die ja eigentlich Hegel und Marx unmittelbar für die Killing Fields verantwortlich zu machen sind, darf der Nationalcharakter als Erklärungsmuster nicht fehlen: im Falle Kambodschas die „Tradition der Grausamkeit, die hinter dem sanften Antlitz Buddhas schlummert“. Das schöne Khmer-Wort „kum“ soll die Erklärung sein, die man sich am Besten von einem 'Eingeborenen' bestätigen lässt: „kum ist ein kambodschanisches Wort für eine besondere kambodschanische Mentalität der Rache – genauer gesagt: ein lang anhaltender Groll, der irgendwann in einen Racheakt mündet, dessen Schaden viel größer ist als die ursprüngliche Verletzung […] Es ist eine Infektion, die sich in unserer Volksseele ausbreitet.“33 Soso. Verwunderlich, dass angesichts dieser Volksseeleninfektion heute ehemalige Rote Khmer und Rote Khmer-Gegner anerkanntermaßen in den höchsten Rängen des neuen kambodschanischen Königreichs zusammenarbeiten. Ob das kum wohl gerade Pause macht? Selbst wenn mensch annehmen wollte, dass es solche gesellschaftlich verankerten und durchgesetzten Mentalitäten flächendeckend gäbe, wäre ja zumindest die Frage angebracht, woher denn der Groll kam, den es ja tatsächlich und ziemlich unbestreitbar gab.
  1. Die Terrorherrschaft der Roten Khmer war vermutlich unter anderem auch deswegen so brutal, weil hier der – von der Kolonialpolitik hinterlassene und den jeweiligen Eliten verwaltete – polit-ökonomische und soziale Konflikt zwischen armen Bauern und städtischen Mittelklassen mit Gewalt ausgetragen wurde, der ja jüngst auch in Thailand zu allerhand blutigen Gemetzeln geführt hat. Er konnte ausgetragen werden, weil die Roten Khmer in einem destabilisierten Land sich an die Spitze einer Bauernguerilla setzten und in einem imperialistisch geschaffenen Machtvakuum gewinnen konnten. Damit war eine Seite schlichtweg unterlegen, und zwar ausnahmsweise die, die bisher ihre Interessen immer noch etwas besser durchsetzen hatte können. Und er wurde so blutig ausgetragen, weil der Hass auf die Städter eine ganz gute Mobilisierungsideologie war für die Strategie, sich für den Aufbau eines unabhängigen Kampucheas zunächst auf die Landwirtschaft zu konzentrieren – und zudem zu den faschistischen34 'Reinigungsphantasien' dieser rot lackierten Khmer-Nationalisten passte.
  1. Was waren die Roten Khmer denn nun für welche? Am einfachsten ist es natürlich, sie als wahnsinnige Verbrecher darzustellen, deren Theorie ein „morbides Konglomerat utopischer Ideen ... die sich schon gar nicht an den Erkenntnissen marxistischer Theorien orientierten"35 war – so zumindest wies mensch in der DDR jede Beziehung zwischen ML und Roten Khmer zurück. Das ist offensichtlich ungenügend. Häufig ist zu hören, die Roten Khmer wären „Ultra-Maoisten“36, Leute, die eine „radikalen Maoismus“37 pflegten und sich in ihrer Politik vom „Großen Sprung nach vorn“ und der Kulturrevolution hätten inspirieren lassen 38. Das ist nicht haltbar: Der große Sprung nach vorn sollte den Kommunismus in drei Jahren aufbauen, der Vier-Jahres-Plan der Roten Khmer Exportüberschüsse zum Einkauf von Waffen und Industrieanlagen einbringen. Das „Hauptquartier“ zu bombardieren, also regelmäßig die eigene Parteibürokratie in Angst und Schrecken zu versetzen, davon hielt Angkar definitiv nichts. Die maoistische Theorie vom zunächst nötigen Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie wiesen die Roten Khmer sogar explizit zurück: „In Kambodscha gebe es keine nationale Bourgeoisie, alle Bourgeois sind Ausländer“39 Das enge Bündnis mit China – das sich zu Zeiten der Roten Khmer ja längst auf dem Weg zur „sozialistischen Marktwirtschaft“ gemacht hatte – hatte nicht so viel mit den paar ideologischen Gemeinsamkeiten, sondern vor allem mit gemeinsamen Feinden zu tun: Der Sozialistischen Republik Vietnam, die bekanntlich ein Verbündeter der UdSSR war. Und auch von ihrem anderen Verbündeten Nordkorea übernahmen die Roten Khmer ideologisch wenig. Weder hatten sie einen sonnengleichen Führer – dass Pol Pot ihr Obermacker war, erfuhren die Kambodschaner erst 1977, andere behaupten sogar noch später- noch waren die Roten Khmer etwa auf die nordkoreanische Schwachsinnsidee verfallen, eine eigenständige Staatsideologie namens „Juche“ zu entwickeln – wesentlicher Inhalt: Volkseinheit ist besser als Klassenkampf – und damit den Marxismus-Leninismus „dialektisch weiterzuentwickeln“. Sicher waren die Roten Khmer stolz darauf, einen bislang nicht gekannten und gewagten, genuin kampucheanischen Weg zum Aufbau des Sozialismus zu beschreiten. Aber sie sie waren in vieler Hinsicht, bei allem Khmer-Nationalstolz, ganz orthodoxe Marxisten-Leninisten.
  1. Hat Pol Pot aber denn nicht „bis in die letzte Konsequenz“ „die sofortige und vollständige Einführung des Kommunismus ohne lange Übergangsperiode, die eigentlich zu den Grundsätzen des orthodoxen Marxismus-Leninismus“ gehöre40, versucht? Wollten die Roten Khmer „nach der Revolution eine kommunistische Gesellschaft ... errichten und das Stadium des Sozialismus einfach ... überspringen“41, was ja zu einigen Überlegungen Anlass gäbe? Handelte es sich um „Kriegskommunismus“42? Und versprachen die Roten Khmer mit dem Vier-Jahres-Plan eine „blühende kommunistische Zukunft“ zu errichten?43 Auch wenn die Angkar sich nie offiziell auf den Marxismus-Leninismus berufen hat 44, zeigen ihre theoretischen Dokumente sie als besonders dummbatzignationalistische und paranoide MLer. In den Dokumenten ist durchgängig vom „Sozialismus“ und nicht etwa vom Kommunismus die Rede45 und der Politik ging es um Agrarüberschüsse und Devisenerlöse – so irre die Strategie dafür auch gewesen sein mag und wie irreal auch die weiteren Annahmen (z.B. ein konstanter Reispreis auf dem Weltmarkt).
  1. Das sollte übrigens nicht zu dem gegenteiligen Irrtum führen, die Rote-Khmer-Herrschaft sei ein „Staatskapitalismus“ gewesen. Wohl nahmen die Roten Khmer mit ihren Zielen Bezug auf den Weltmarkt und hätten Kambodscha nur zu gern in einen landwirtschaftlichen Zulieferer des internationalen Kapitalismus verwandelt. Nur: Dazu kam es nie. Und anders als in der Sowjetunion wurde nicht mal versucht, Lohn, Preis und Profit zu Faktoren der Planung zu machen. Statt zu versuchen, über Geld zu planen – was nicht Kapitalismus, aber schlechte Planwirtschaft bedeutete – , musste in Kampuchea der Reis abgeliefert werden. Einen „Binnenmarkt“, egal ob kapitalistischer oder staatssozialistischer Art gab es nicht; das bereits gedruckte Geld des „demokratischen Kampuchea“ wurde nicht als Währung eingeführt.
  1. Linke wollten lange nicht glauben, dass im „Demokratischen Kampuchea“ ein derartig übles Regime regierte. Dafür gab es Anlass: “Fälschungen und bewusste Lügen, die nachgewiesen werden konnten, machten rare Quellen unglaubhaft“. So z.B. der Bericht eines französischen Arztes vom 30.4.1975 über verschiedene Gräueltaten, die definitiv nicht stattgefunden hatten, angebliche Augenzeugenberichte gegen Dollars an der thailändischen Grenze von Leuten, die zu der Zeit gar nicht in Kambodscha waren, gestellte Fotos, die der thailändische Geheimdienst zur Wahlbeeinflussung produziert hatte oder das berühmteste Foto, das in der Welt mit der Unterschrift „Ein roter Khmer kauft am Tag der Befreiung mit der Pistole ein“ – in Wirklichkeit forderte er Plünderer auf, sofort aufzuhöre 46. Vor diesem Hintergrund mag die Haltung der westeuropäischen und nordamerikanischen Linken unerfreulich gewesen sein, aber sie war nicht unverständlich – angesichts der völligen Abschottung Kampucheas waren Informationen nur von Gegnern der Roten Khmern zu bekommen, die zum größten Teil eben nicht sonderlich seriös waren. Gruselig, aber eine wirklich vernachlässigenswerte Minderheit sind da höchstens jene Linken, die auch später noch an den Roten Khmern festhielten. Was freilich die meisten moralisch empörten Antikommunisten ganz gerne verdrängen, ist, dass nach der Vertreibung durch die vietnamesische Armee der freie Westen die Roten Khmer-Mörderbanden finanzierte und militärisch unterstützte – und ihnen damit übrigens erlaubte, in den Grenzregionen zu Thailand ihre Schlächtereien fortzusetzen. „Mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein“: Dieses Schlächterwort von Franz-Josef Strauss hat der Westen in seinem Kampf gegen die UdSSR und Vietnam wahrlich beherzigt.

Aus der Wikipedia-Diskussion darüber, ob die Roten Khmer maoistisch-nationalistisch oder maoistisch waren
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Rote_Khmer#Zweifelhafte_.C3.84nderungen
„ich frage mich, wem damit gedient ist, die Tatsachen über die Roten Khmer zu vertuschen, und diese als "nationalistisch" zu bezeichnen, obwohl deren Absichten, nämlich die Erschaffung eines kommunistischen Bauernstaates, Abschaffung der Religion, Abschaffung der Klassen etc., rein Kommunistischer Natur waren!!“

„Der Kommunismus sowie der Versuch der Verwirklichung kostete auf der Welt an die 100 Mio Opfer. Warum es so wichtig ist, dies zu verschweigen, ja sogar regelrecht eine Zensur darüber zu legen, kann ich in keinster Weise nachvollziehen. Ich verlange ein bischen mehr Respekt vor den Toten! --Epikur 23:43, 24. Jul 2004 (CEST)

„aber Nationalismus ist nicht der Hauptgrund für den Genozid und die Massenmorde. Die stehen nämlich hauptsächlich im Kontext der Umstrukturierung der Gesellschaft zum kommunistischen Bauernstaat sowie in der Abschaffung der Religion“
„Die historischen Fakten zeigen doch klar, wohin die leider noch legale kommunistische Tagträumerei führt: regelmässig zu Massenmorden. In diesem Fall zur Ausrottung eines Viertels der Bevölkerung. Die kambodschanischen Marxstudenten, die in den 60ern in Paris diese Bewegung gegründet haben, haben sich anfangs auch nur über "Dialektik" unterhalten. (nicht signierter Beitrag von 78.51.109.209 (Diskussion | Beiträge) 01:02, 27. Apr. 2009 (CEST))“

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Letzte Aktualisierung: 19.06.2012

 

19.06.2012