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Vorab muss ich gestehen, dass ich die 560 Seiten des Buches nicht von vorn bis hinten durchstudiert habe. Für meine Kritik, die drei grundsätzliche Aspekte anmerkt, die ich für falsches Denken halte, ist das aber nicht von Belang. Der erste Grundfehler des Wälzers von Gaßmann liegt bereits in der Methode vor. Er geht von dem aus, was er für den avancierten Stand der Vernunft hält (siehe Einleitung), das aber doch nur eine Richtung des heutigen Philosophierens ist, und konstruiert die Geschichte der Philosophie auf diese seine Richtung hin. Das aber ist ein Zirkelschluss: Die gegenwärtige Position wird dogmatisch vorausgesetzt und die Entwicklung zu ihr in die Geschichte der Philosophie hineininterpretiert. Eine andere philosophische Richtung könnte dies genauso machen und damit ihren Standpunkt legitimieren. Was in der Geschichte der Philosophie entwickelt wird, ist als Resultat fix und fertig vorausgesetzt, und was im Resultat fix und fertig vorliegt, wird in die Geschichte der Philosophie hineinprojiziert. Da wäre es redlicher, gleich bloß den eigenen Standpunkt darzustellen. Der zweite Grundfehler liegt darin, dass Gaßmann mit der schon bei Kant überwundenen ontologischen Tradition wieder ontologische Fundamente unserer Termini begründen will. Termini bestehen aus Zeichen, sie werden verbunden zu Sätzen, die einen gewissen Sinn für uns haben, und Sätze werden verbunden zu komplexen Satzgebilden oder Theorien. Weder Termini noch Sätze noch Theorien laufen in der Natur oder der ontologischen Sphäre herum, sie haben nichts mit der außermentalen Natur zu tun, können also auch kein – traditionell gesprochen – „fundamentum in re“ haben. Wenn Gaßmann immer wieder das Praxiskriterium nennt als Kriterium dafür, dass unsere Projektionen etwas in der außermentalen Sphäre „treffen“, gar das Experiment als Tertium Comparationis zwischen menschlichem Denken und ontologischer Sphäre bezeichnet, so muss ihm gesagt werden, dass solch ein Vergleich gar nicht möglich ist. Sowohl die Hypothese, die überprüft werden soll, wie der Aufbau des Experiments, wie die Resultate des Versuchs sind lediglich im Bewusstsein, da wir keinen direkten Bezug zu dem haben, was außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein ist. Insofern haben diejenigen Recht, die Gaßmann als Skeptizisten beschimpft. Unser Bewusstsein kann nur, wie fast alle modernen Richtungen der Philosophie behaupten, ein fallibilistisches sein, das nur mehr oder weniger einsichtige Hypothesen aufstellen kann. Selbst die Wahrnehmungsbilder, die wir von der Außenwelt in uns wiederfinden, haben keine Ähnlichkeit mit ihren bewusstseinsjenseitigen Ursachen, wie schon John Locke wusste, sie sind bloße Zeichen, die in unserem Bewusstsein jene transzendenten Ursachen symbolisieren. Die dem Bewusstsein transzendente Welt können wir in uns nie zur Gegebenheit bringen. Was die Welt der Phänomene betrifft, so können wir niemals genau unterscheiden, was davon die Phantasie im Bewusstsein erzeugt hat und was von den transzendenten Ursachen erzeugt ist. Es entspricht der Hochnäsigkeit derjenigen, die Gaßmann zur kritischen Philosophie oder Theorie zählt, einen eminenten Wahrheitsbegriff zu behaupten, der auch ontologisch fundiert wäre. Das ist wieder aufgewärmtes traditionelles Denken, das heute völlig überholt ist. Daran ändert auch die Kritik von Gaßmann am Terminus „überholt“ nichts. In diesem Zusammenhang sei auch die negative Metaphysik von Haag erwähnt, auch wenn Gaßmann sie einschränkt auf die lebendige Natur. Wird bei Naturgegenständen ein immanenter Zweck unterstellt, der aber prinzipiell nicht bestimmbar sein soll (ähnlich dem kantischen „Ding an sich“), dann ist solch ein Begriff ein Unding. Entweder hat der Begriff oder Terminus einen Gegenstand, dann kann man mit ihm vernünftig umgehen, wie schon Aristoteles wusste; oder der Gegenstand ist unbekannt, dann lässt sich über ihn auch kein Begriff bilden. Ein Begriff ohne Gegenstand ist eine Schimäre ohne Erkenntniswert. Warum soll man die Gesellschaftsordnung radikal verändern, warum den Kapitalismus abschaffen? Nur um den unteren Schichten der Gesellschaft etwas mehr Einkünfte zu sichern? Noch nie ging es den Armen so gut wie heute, selbst mit Harz IV lebt man im Wohlstand gegenüber den Vorfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Interesse an einer Emanzipation von (liberaler) Herrschaft der Vermögenden ist deshalb nicht mehr durch ökonomische Bedürfnisse fundiert. Statt persönlicher Herrschaft wirken heute sublime soziale Mechanismen, die als Sachzwang auftreten und erträglich sind. Und was ist die Alternative, etwa wieder eine Staatsdiktatur wie in der DDR? Der von Marx avisierte Träger einer sozialistischen Revolution, das Proletariat, hat sich aufgelöst, angepasst oder will gar keine Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel mehr, jedenfalls solange die Arbeitsplätze gesichert sind. Ein revolutionäres Klassenbewusstsein ist selbst in den Kernschichten des Industrieproletariats nicht mehr anzutreffen. „Jede revolutionäre Theorie entbehrt unter diesen Umständen ihres Adressaten.“ (So Habermas schon 1963) Gaßmanns Insistieren auf einer radikalen Veränderung ist deshalb revolutionärer Romantizismus, wenn nicht gar Donquichotterie. Die Thesen des Wälzers sind im Grundsätzlichen falsch und sein Erscheinen deshalb überflüssige Papierverschwendung. Hier können Sie Ihre Meinung äußern,
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Erinnyen Nr. 18
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